Die dunkle Seite der
deutsch-argentinischen Beziehungen
Das Versagen der deutschen Regierung
im Umgang mit der argentinischen Militärjunta
Dass Spitzensportler in Sachen Weltpolitik nicht immer aufgrund
ihrer Expertise auffallen, ist uns heute nicht unbekannt. Ob im Fall der Aussagen
der Sportler in Diskussionen um Menschenrechte im Vorfeld der
Europameisterschaft in der Ukraine oder nach einem Motorsportevent in Bahrain, wo
Sebastian Vettel die Berichte über die dortige Demokratiebewegung als „großen
Hype“ bezeichnete(Stern, April 2012): Es schläft sich besser mit dem Wissen,
dass die Meinung von Sportlern, Gott sei Dank, nicht unbedingt auf die
Außenpolitik ihres jeweiligen Heimatlandes übertragbar ist.
Ob das immer so war muss zumindest in Frage gestellt werden,
wenn man sich mit den Geschehnissen um die Fussball-Weltmeisterschaft 1978 in
Argentinien und dem Agieren der Regierung Schmidt/Genscher beschäftigt.
Die Nationalmannschaft um Berti Vogts reiste damals als
amtierender Weltmeister nach Argentinien und musste sich im Vorfeld
ungewöhnlich viel mit der so ungeliebten Politik befassen. Die deutsche Sektion von Amnesty International
hatte die Spieler der Nationalelf aufgerufen, eine Petition an die
Bundesregierung zu unterzeichnen, um die Geschehnisse am Rio de la Plata ins
Rampenlicht der deutschen Öffentlichkeit zu befördern. Dort hatte sich 1976 eine Militärjunta an die
Macht geputscht und setzte dem massiven Widerstand linker Guerillagruppen um
die sogenannten „Montoneros“ ein System aus Repression und staatlichem Terror
entgegen.
Die Bemühungen um die Fussballspieler von Seiten der
Menschenrechtsorganisation blieben weitestgehend erfolglos, einzig Paul
Breitner unterzeichnete die Petition und erntete dafür massive Kritik von
Seiten des DFB und den Spott seines Mannschaftskollegen und Kapitäns Berti
Vogts. Erich Beer, Spieler von Hertha BSC tat die Bedenken mit den folgenden
Worten ab: „Es belastet mich auf keinen Fall, dass dort gefoltert wird. Wenn
ich in Deutschland spiele, denke ich ja auch nicht daran, dass da im Krieg
viele umgekommen sind.“
Während andere Länder per Parlamentsbeschluss entschieden,
sich „jeglichen Sympathiebekundungen gegenüber der Diktatur und ihren
Vertretern zu verweigern“, pochte der DFB auf die Unterlassung jeglicher
politischer Einmischung. Und auch die Regierung um Helmut Schmidt und
Hans-Dietrich Genscher lehnte jedes Statement ab, um die guten Beziehungen
zwischen Deutschland und Argentinien nicht zu gefährden.
Genscher, Grandseigneur der deutschen Außenpolitik, hatte
bereits zwei Monate nach der Machtergreifung der Militärjunta seinen
Staatssekretär Dr. Karl Moersch nach Argentinien geschickt, der dort erklärte,
die Militärs würden „wohlüberlegte Regierungsmaßnahmen“ umsetzen und auch bei
der „Bekämpfung des Terrorismus“ große Fortschritte machen.
Wie sah diese
„Bekämpfung des Terrorismus“ aus, die Moersch
mit seinem Lob legitimierte?
Die Militärs um
General Videla errichteten an
verschiedenen Orten Lager, in denen all jene interniert wurden, die als „subversiv“
und somit als „Gefahr für die
öffentliche Sicherheit“ eingestuft wurden. Dazu gehörten neben aktiven Guerillakämpfern
(von denen sich tatsächlich nur noch wenige im Land aufhielten) auch politische
aktive Studenten; Schüler, die sich für die Einführung einer Vergünstigung des
Bustickets einsetzten (Film:„La noche de los lapices“); Mütter, die sich für die Freilassung ihrer festgenommenen
Kinder einsetzten und viele andere, die dem Regime ein Dorn im Auge waren. Gnade durften sie von den Militärs nicht
erwarten, heftige Folter, Vergewaltigungen und Ermordung der Gefangenen galten
als normale Mittel um ihren Willen zu brechen und ihnen Geständnisse und Informationen jeglicher Art
abzupressen. Besonders perfide war die Strategie des „Verschwindenlassen“ von
Gefangenen. Dabei wurden die
Festgenommenen nach Folter und Verhör noch lebend über dem Rio de la Plata aus
Helikoptern und Flugzeugen geworfen und für die Welt unsichtbar gemacht. Aktuelle
Forschungen gehen davon aus, dass dieser Praxis in etwa 30.000 Menschen, die
sogenannten „desaparecidos“ zum Opfer fielen.
Elisabeth Käsemann
und Klaus Zieschank – zwei deutsche Desaparecidos
Zu diesen „desaparecidos“ gehörten auch zahlreiche Deutsche
und deutschstämmige Argentinier. Besondere Aufmerksamkeit erfahren bis heute
die Fälle von Elisabeth Käsemann und Klaus Zieschank. Beide befanden sich zum
Zeitpunkt der Machtübernahme der Militärs in Argentinien. Käsemann arbeitete
als Sozialarbeitern in den Elendsvierteln von Buenos Aires und Zieschank war
als Praktikant in der argentinischen Niederlassung von Mercedes Benz tätig. Beiden
wurde ihre Tätigkeit zum Verhängnis. Während Käsemann als freiwillige
Sozialarbeiterin automatisch als „linke Aktivistin“ galt, kam Zieschank wohl
aufgrund seiner Nähe zu gewerkschaftlich organisierten Arbeitern in der Fabrik
ins Visier der Militärchergen.
Das Verschwinden der beiden Deutschen wurde ihren Familien
bald bekannt, beide wurden sie von Zeugen in den Folterkellern der Diktatur
gesehen. Dennoch blieb das Auswärtige Amt in Deutschland auffällig untätig.
Während andere Länder (Spanien, Frankreich, England, USA und Österreich)
mithilfe von politischem Druck und unter Androhung von Saktionen ihre
Verschwundenen freibekamen, reagierte die deutsche Behörde mit einer Politik
der sogenannten „stillen Diplomatie“.
Die Beamten streuten sogar Gerüchte, wonach die Verschwundenen in
terroristische Aktivitäten verstrickt gewesen seien. Die Schuldfrage wurde
durch diese perfide Taktik von den Militärs auf ihre Opfer übertragen, sie
wurden zu Tätern gemacht. Dabei war das Vorgehen der Militärs keineswegs ein
Geheimnis. Die deutschen Botschaftsmitarbeiter in Buenos Aires hatten Kenntnis
über die Vorgänge in Foltereinrichtungen wie der ESMA und General Jorge Videla
sprach 1975 sogar öffentlich über seine Strategie zur „Wiederherstellung der
Ordnung“:
„Wenn es notwendig ist, müssen
in Argentinien so viele Menschen sterben wie nötig, um die Sicherheit
wiederherzustellen.“ Sein Kollege General Ibérico Saint-Jean wird 1976 (im
Jahr der Fussball-WM) sogar noch genauer: „
Erst
werden wir die Subversiven töten, dann die Kollaborateure, dann ihre
Sympathisanten, danach die Indifferenten und zum Schluss die Lauen.“
Parallel zu seiner „stillen Diplomatie“ vermittelte das deutsche
Auswärtige Amt große Aufträge zwischen deutscher Industrie und der
argentinischen Junta. Andere Staaten verhängten ein umfassendes Waffenembargo
gegen Argentinien, Deutschland stieg zum wichtigsten Waffenlieferanten für die
Militärs auf. Auch Mercedes Benz profitierte reichlich von der Machtübernahme.
Löhne und Sozialabgaben wurde massiv gesenkt, lästige Gewerkschafter verschwanden für immer (Untersuchungen zur
Beteiligung der Firma an den Entführungen laufen bis heute (siehe
Pressemitteilung Amnesty International vom 28.04.2013). Die Verbindung der großen Vorteile für die
deutsche Wirtschaft und der Untätigkeit des Auswärtigen Amtes im Fall der
deutschen Verschwundenen kommentierte der Vater von Elisabeth Käsemann, der
bekannte Tübinger Theologieprofessor Ernst Käsemann mit den Worten: „Humanität wie Demokratie werden hier
bürokratisch verwaltet, und ein verkaufter Mercedes wiegt zweifellos mehr als
ein Leben.“