Freitag, 22. März 2013

„Vorbild“ oder „Gefahr für die Demokratie“? Zur Verabschiedung des neuen Mediengesetzes in Argentinien

Die spanische Zeitung „El País“ spricht von einem „Gesetz zur Medienkontrolle“ (10.10.2009), die “Neue Züricher Zeitung“ verkündete einen „Schatten über der Pressefreiheit“ (14.09.09) und die deutsche „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ fürchtet sich vor „neuen Zwangsjacken für Journalisten“ (19.10.2009). Die Rede ist vom neuen Mediengesetz Argentiniens. Am 10. Oktober 2009, wurde es mit 44 zu 24 Stimmen vom Kongress in Buenos Aires verabschiedet. Die darauf folgenden Reaktionen der internationalen Presse und Institutionen hätten unterschiedlicher nicht sein können. Während große europäische Medien die Pressefreiheit öffentlichkeitswirksam zu Grabe trugen, sprach der UN-Sonderberichterstatter für Meinungs- und Redefreiheit, Frank la Rue, von einer „Vorbildfunktion für den Kontinent“ und bezeichnete das Gesetz als einen „Schritt vorwärts in Lateinamerika gegen die zunehmende Konzentration des Eigentums an Medien.“ (CNN am 01.09.2009).
Am 7. Dezember 2012, über 3 Jahre nach seiner Verabschiedung trat das Gesetz nun in Kraft. Die Meinungen darüber bleiben weiterhin gespalten und eine große Mediengruppe geht noch immer gerichtlich dagegen vor. Grund genug, die Hintergründe des Gesetzes und die argentinische Medienlandschaft hier einmal überblicksartig zu beleuchten.

Rolle der Medien innerhalb einer Demokratie
Eines der Grundprinzipien modernen Demokratien ist die „Selbstregulierung des Volkes durch das Volk“. Dieses Prinzip setzt einen umfassenden Prozess der Meinungs- und Willensbildung voraus. Diesen Prozess zu ermöglichen und jedem Bürger Zugang zu den relevanten Informationen zu verschaffen ist die Aufgabe der Medien. Erst diese Voraussetzung ermöglicht eine Teilnahme des Einzelnen am öffentlichen Diskurs und befähigt die Bürger zur Erfüllung ihrer Aufgabe als politische Kontrollinstanz.
Medien fungieren also rein theoretisch als neutrale „Dienstleister der Kommunikation“. In den meisten der demokratischen Flächenstaaten wird diese Rolle von Massenmedien eingenommen.[1]
Mit der zunehmenden Ökonomisierung der Medienlandschaft ist automatisch noch eine weitere Komponente hinzugekommen. Berichterstattung dient nun nicht mehr nur der Information und Wissensvermittlung innerhalb eines demokratischen Systems, sondern ist ganz konkret auch eine Ware. Und mit einer Ware ist automatisch die Hoffnung auf Gewinn verbunden.

Argentinische Medienlandschaft vor Inkrafttreten des Gesetzes
Begünstigt durch die neoliberale Ausrichtung der Militärdiktatur und die Privatisierungswelle der sogenannten Menemjahre (Carlos Menem regierte Argentinien zwischen 1989 und 1999 und widmete seine Präsidentschaft der Privatisierung nahezu aller öffentlicher Betriebe) entwickelten sich zwischen 1976 und 1999 mächtige Oligopole speziell auf dem Zeitungsmarkt. Der mächtigste unter den wenigen Akteuren, die Gruppe „Clarín“, erwarb gemeinsam mit den Leitern der beiden anderen großen Häuser „La Nación“ und „La Razón“ bereits kurz nach dem Militärputsch den landesweit einzigen Hersteller für Zeitungspapier PapelPrensa von der Regierung. Somit kontrollierten die drei größten Pressehäuser die vollständige Herstellung des für die Branche wichtigsten Rohstoffs und konnten so gegenüber der Konkurrenz beliebig die Preise diktieren.
Heute, gehört die argentinische Medienlandschaft zu den am stärksten in wenigen Händen konzentrierten der Welt.
Die vier größten Mediengruppen des Landes kontrollieren 83% des nationalen Marktes in den Bereichen Printmedien, Radio, TV und Telekommunikation. Zum Vergleich: In Deutschland nehmen die wichtigsten fünf Zeitungsverlage einen Marktanteil von 44% ein.
Die größte dieser „Big Four“, die Claríngruppe kontrolliert alleine 53,9% des Zeitungsmarkts und 73% des PayTVs und wird von einem mächtigen und finanzstarken Konsortium, zu dem unter anderem die Bankengruppe Goldman Sachs gehört, kontrolliert. Über ein kompliziertes Geflecht aus Beteiligungen und Tochtergesellschaften ist Clarín in nahezu allen medial bedeutenden Bereichen marktführend. Zu ihr gehört mit Radio Mitre der zweitbeliebteste Radiosender, mit Canal 13 der wichtigste über Antenne empfangbare Fernsehkanal des Landes. Jede dritte in Argentinien verkaufte Zeitung kommt aus den Druckereien von Clarín.
Diese Marktmacht ist auch Grund für den enormen Widerstand den Claríns Lobbyisten und schließlich Anwälte gegen die Verabschiedung des neuen Mediengesetzes leisten.[2]



Das neue argentinische Mediengesetz
Nach seiner Verabschiedung im Oktober 2009 wurde das Gesetz am 7. Dezember 2012 für große Teile der Presselandschaft gültig und führte bereits zu kleinen Veränderungen. Einzig die Claríngruppe leistete Widerstand gegen seine Umsetzung und zog erneut vor Gericht.
Im Wesentlichen bringt das Gesetz vier wichtige Neuerungen.
Erstens: Eine Pluralisierung des Angebots, die verstärkt auch auf nationale Produktionen Rücksicht nehmen wird. Die Lizenzen der einzelnen Sektoren sollen zu gleichen Teilen an staatliche, private und nicht-gewinnorientierte Anbieter vergeben werden. Hiermit können in Zukunft auch Universitäten, NGO's, Gewerkschaften und andere Gruppen aus der Gesellschaft ihre Präsenz in den Medien erhöhen. Diese sozialen Bewegungen spielen in Argentinien seit dem Rückzug des Staates aus vielen Bereichen des Alltags eine wichtige Rolle, da sie vielerorts Bildungseinrichtungen, medizinische Versorgung, etc. weiterführten, an denen private Investoren kein Interesse hatten. Ihre wichtige Rolle für die argentinische Gesellschaft soll sich nun auch in Form medialer Präsenz widerspiegeln.
Der zweite wichtige Punkt ist die umfassende Entmonopolisierung des Sektors. Statt bisher 24 TV-Sendelizenzen pro Unternehmen zu verkaufen, sieht das Gesetz nun vor, maximal 10 Lizenzen zu vergeben. Dies hätte beispielsweise für Clarín die Abgabe eines Drittels seiner Lizenzen zur Folge.
Drittens sieht das Gesetz eine stärkere Regulierung der Inhalte vor. Besonders die Einhaltung von Jugendschutzbestimmungen ist dabei ein wichtiges Kriterium.
Zur Garantie der Einhaltung dieser Regeln soll als vierter wichtiger Punkt ein parlamentarisches Kontrollgremium eingerichtet werden. Diesem Gremium werden drei Vertreter der Streitkräfte, zwei Vertreter privater Medienhäuser und zwei Repräsentanten der Regierung angehören. Ein weiteres rein von Parlamentsmitgliedern besetztes Komitee wird für die Lizenzvergabe zuständig sein.
Mithilfe dieser Veränderungen soll eine Neuausrichtung des Mediensektors als menschliches Grundrecht gelingen und das bisher herrschende Leitprinzip des kommerziellen Erfolgs abgelöst werden.

Clarín gegen die Regierung Kirchner
Mit Verabschiedung der Gesetzesinitiative erreichte die Beziehung zwischen der Regierung von Cristina Fernández de Kirchner und den privaten Medien ihren absoluten Tiefpunkt.
Clarín ist Hauptbetroffene des neuen Mediengesetzes und musste bei der erneuten Verstaatlichung der Produktionsfabriken für Zeitungspapier bereits dessen umfassenden Konsequenzen erleiden.
Pünktlich zum 7. Dezember 2012 erwirkte Clarín eine einstweilige Verfügung und eine Neuverhandlung des Gesetzes vor den Gerichten des Landes. So gelang es der Gruppe zumindest vorläufig dessen Vollstreckung und somit den Verlust seiner monopolartigen Ausnahmestellung zu verhindern. Auf die Ablehnung der Beschwerde in erster Instanz reagierten die Clarínanwälte mit dem Gang vor die nächsthöhere Instanz. Mit einer Fortsetzung dieses Vorgehens bis zum obersten Gerichtshof wird wohl zu rechnen sein. So wird der Corte Suprema de Justicia de la Nación den Konflikt zwischen Regierung und Clarín entscheiden müssen und damit die Frage nach der Grundlage von Pressearbeit in Argentinien.





[1] Vgl.: Meyn, H.; Tonnenmacher,J: Massenmedien in Deutschland, Konstanz 2012, S.13f
[2] Alle Daten siehe: Schulten, J.: Drei Schritte vor und ein halber zurück.
Die Medienpolitik der Regierung Fernández de Kirchner. Erschienen in: Lateinamerikagruppe Marburg: Medien und Demokratie in Lateinamerika, Berlin 2012, S.138f

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