Montag, 24. Juni 2013

Wenn Bulldozer auf Tradition treffen – Zur geplanten Umsiedlung der Tonokoté- Indigenen in Santiago del Estero

Wie wenig Rücksicht angesichts großer Bauvorhaben auf geschichtlich sensible Orte genommen wird ist, seit dem teilweisen Abriss der Berliner East Side Gallery zugunsten eines Neubaus, auch in Deutschland hinreichend bekannt. Während diese Themen hierzulande jedoch in der Regel große mediale Aufmerksamkeit bekommen, finden Umsiedlungen, Abrisse und Vertreibung in vielen Teilen Lateinamerikas unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Nicht selten liegt die Verantwortung über die Berichterstattung bei mächtigen Medienmogulen, die, direkt oder indirekt, von den Bauprojekten und Landverkäufen profitieren (siehe Artikel zum Mediengesetz in Argentinien).
So lässt sich auch erklären, dass die Öffentlichkeit Santiago del Esteros erst durch einen verzweifelten Hilferuf in den sozialen Netzwerken Facebook und Twitter von den Vorgängen erfuhr, die sich direkt neben einem der beliebtesten Ausflugziele der Stadt, dem Patio Froílan, zugetragen hatten.
Dort, in einer Örtlichkeit namens „Boca del Tigre“ (Mund des Tigers), lebten bis Ende Mai 2013 dreiundzwanzig Familien der Auqajkuna-Gemeinde, die zum indigenen Volk der Tonokoté gehören. Die Tonokoté sind ein Volk, das seine Wurzeln hauptsächlich in den Provinzen Tucumán und Santiago del Estero hat und dort bis heute versucht, seine Traditionen aufrecht zu erhalten.

Privates Viertel soll Platz der Tonokoté einnehmen

Im Rahmen eines Immobilienprojekts sollten die 20 Landbesitz Hektar der Tonokoté nun bebaut werden: geplant war dort ein „Barrio privado“, also ein privates Viertel.
Dieser Plan stieß jedoch auf den Widerstand der Tonokoté, die sich weigerten ihr Territorium gegen neue Häuser an anderer Stelle einzutauschen. Um die Pläne der Regierung, die das Gelände schon an einen Investor verkauft hatte, zu retten, entschied sich der Richter Guillermo Tarchini Avedra für ein Vorgehen mit der Brechstange:
Um 5 Uhr morgens wurden die 23 Familien der Gemeinde von einem Großaufgebot der Polizei der Provinz Santiago del Estero (einer Provinz, die mit ihrer kulturellen Vielfalt und ihrer indigenen Identität wirbt) geweckt und ohne weitere Erklärung mithilfe von Hunden, berittenen Einheiten und Gummigeschossen aus ihren Häusern gezerrt. Im Anschluss an diese Aktion, die zu mehreren Verletzten, darunter Kinder und eine Schwangere, führte, machten sich die Einsatzkräfte daran, die Häuser und Gärten der Gemeinde mithilfe mehrerer Bulldozer dem Erdboden gleichzumachen. Die zwei Anführer und Sprecher der Gemeinde wurden wegen Widerstand gegen die Zerstörung ihrer Häuser von den Polizisten festgenommen.
  
Tageszeitungen ignorieren Vorgänge

Um die Öffentlichkeit auf die brutale Aktion aufmerksam zu machen, wurden die schockierten Familienmitglieder der Festgenommenen bei den zwei wichtigsten Tageszeitungen der Provinz Santiago del Estero „El Liberal“ und „El nuevo Diario“ vorstellig und übergaben den Journalisten Fotomaterial, Videos und Zeugenaussagen zu den Geschehnissen. Beide Zeitungshäuser weigerten sich jedoch, der Bitte um Veröffentlichung nachzukommen.[1]
Erst die Veröffentlichung von Videos der Polizeiaktion auf Facebook und Twitter führte zu einer Reaktion in der Öffentlichkeit. Zahlreiche Onlinezeitungen und Bloggs berichteten über die polizeiliche Repression und die Enteignung der Familien und erreichten so eine große Aufmerksamkeit in der Zivilgesellschaft Santiagos. 
Unter dem daraufhin entstandenen öffentlichen Druck knickte die Provinzregierung von Gouverneur Gerardo Zamora schließlich ein. Hatten die offiziellen Stellen bisher jegliche Stellungnahme verweigert,  versprach man nun den Wiederaufbau der Häuser und die Überreichung amtlicher Besitzurkunden an die Familien der Auqajkuna-Gemeinde. Auch die heiligen Stätten der Tonokoté sollen darin respektiert werden.
Fraglich bleibt jedoch, wie diese Geschichte ohne die  beherzte Selbsthilfe der Indigenen ausgegangen wäre. Denn wenn die Herstellung von Öffentlichkeit schon für gut vernetzten Bewohner der Provinzhauptstadt derartige Schwierigkeiten bereitet, fällt es nicht schwer, sich die Hilflosigkeit der isolierten Landbevölkerung vorzustellen. Erschwerend kommt dort nämlich noch hinzu, dass die Enteigneten sich meist multinationalen Agrarkonzernen mit starker Rechts- und Lobbyabteilungen gegenübersehen.







[1] Siehe: http://tiempo.infonews.com/2013/05/25/sociedad-102518-otro-desalojo-a-una-comunidad-indigena-en-santiago-del-estero.php

Mittwoch, 19. Juni 2013

Die Fachschaft Romanistik und "Aires del Sur - Reflexionar sin Fronteras" bitten zum Tanz!


Samstag, 15. Juni 2013

Die dunkle Seite der deutsch-argentinischen Beziehungen
Das Versagen der deutschen Regierung im Umgang mit der argentinischen Militärjunta

Dass Spitzensportler  in Sachen Weltpolitik nicht immer aufgrund ihrer Expertise auffallen, ist uns heute nicht unbekannt. Ob im Fall der Aussagen der Sportler in Diskussionen um  Menschenrechte im Vorfeld der Europameisterschaft in der Ukraine oder nach einem Motorsportevent in Bahrain, wo Sebastian Vettel die Berichte über die dortige Demokratiebewegung als „großen Hype“ bezeichnete(Stern, April 2012): Es schläft sich besser mit dem Wissen, dass die Meinung von Sportlern, Gott sei Dank, nicht unbedingt auf die Außenpolitik ihres jeweiligen Heimatlandes übertragbar ist. 
Ob das immer so war muss zumindest in Frage gestellt werden, wenn man sich mit den Geschehnissen um die Fussball-Weltmeisterschaft 1978 in Argentinien und dem Agieren  der  Regierung Schmidt/Genscher  beschäftigt.  
Die Nationalmannschaft um Berti Vogts reiste damals als amtierender Weltmeister nach Argentinien und musste sich im Vorfeld ungewöhnlich viel mit der so ungeliebten Politik befassen.  Die deutsche Sektion von Amnesty International hatte die Spieler der Nationalelf aufgerufen, eine Petition an die Bundesregierung zu unterzeichnen, um die Geschehnisse am Rio de la Plata ins Rampenlicht der deutschen Öffentlichkeit zu befördern.  Dort hatte sich 1976 eine Militärjunta an die Macht geputscht und setzte dem massiven Widerstand linker Guerillagruppen um die sogenannten „Montoneros“ ein System aus Repression und staatlichem Terror entgegen.
Die Bemühungen um die Fussballspieler von Seiten der Menschenrechtsorganisation blieben weitestgehend erfolglos, einzig Paul Breitner unterzeichnete die Petition und erntete dafür massive Kritik von Seiten des DFB und den Spott seines Mannschaftskollegen und Kapitäns Berti Vogts. Erich Beer, Spieler von Hertha BSC tat die Bedenken mit den folgenden Worten ab: „Es belastet mich auf keinen Fall, dass dort gefoltert wird. Wenn ich in Deutschland spiele, denke ich ja auch nicht daran, dass da im Krieg viele umgekommen sind.“
Während andere Länder per Parlamentsbeschluss entschieden, sich „jeglichen Sympathiebekundungen gegenüber der Diktatur und ihren Vertretern zu verweigern“, pochte der DFB auf die Unterlassung jeglicher politischer Einmischung. Und auch die Regierung um Helmut Schmidt und Hans-Dietrich Genscher lehnte jedes Statement ab, um die guten Beziehungen zwischen Deutschland und Argentinien nicht zu gefährden.
Genscher, Grandseigneur der deutschen Außenpolitik, hatte bereits zwei Monate nach der Machtergreifung der Militärjunta seinen Staatssekretär Dr. Karl Moersch nach Argentinien geschickt, der dort erklärte, die Militärs würden „wohlüberlegte Regierungsmaßnahmen“ umsetzen und auch bei der „Bekämpfung des Terrorismus“ große Fortschritte machen. [1]

Wie sah diese „Bekämpfung des Terrorismus“ aus, die Moersch  mit seinem Lob legitimierte?
 Die Militärs um General Videla  errichteten an verschiedenen Orten Lager, in denen all jene interniert wurden, die als „subversiv“  und somit als „Gefahr für die öffentliche Sicherheit“ eingestuft wurden.  Dazu gehörten neben aktiven Guerillakämpfern (von denen sich tatsächlich nur noch wenige im Land aufhielten) auch politische aktive Studenten; Schüler, die sich für die Einführung einer Vergünstigung des Bustickets einsetzten (Film:„La noche de los lapices“);  Mütter, die sich für die Freilassung ihrer festgenommenen Kinder einsetzten und viele andere, die dem Regime ein Dorn im Auge waren.  Gnade durften sie von den Militärs nicht erwarten, heftige Folter, Vergewaltigungen und Ermordung der Gefangenen galten als normale Mittel um ihren Willen zu brechen und ihnen  Geständnisse und Informationen jeglicher Art abzupressen. Besonders perfide war die Strategie des „Verschwindenlassen“ von Gefangenen.  Dabei wurden die Festgenommenen nach Folter und Verhör noch lebend über dem Rio de la Plata aus Helikoptern und Flugzeugen geworfen und für die Welt unsichtbar gemacht. Aktuelle Forschungen gehen davon aus, dass dieser Praxis in etwa 30.000 Menschen, die sogenannten „desaparecidos“ zum Opfer fielen.

Elisabeth Käsemann und Klaus Zieschank – zwei deutsche Desaparecidos
Zu diesen „desaparecidos“ gehörten auch zahlreiche Deutsche und deutschstämmige Argentinier. Besondere Aufmerksamkeit erfahren bis heute die Fälle von Elisabeth Käsemann und Klaus Zieschank. Beide befanden sich zum Zeitpunkt der Machtübernahme der Militärs in Argentinien. Käsemann arbeitete als Sozialarbeitern in den Elendsvierteln von Buenos Aires und Zieschank war als Praktikant in der argentinischen Niederlassung von Mercedes Benz tätig. Beiden wurde ihre Tätigkeit zum Verhängnis. Während Käsemann als freiwillige Sozialarbeiterin automatisch als „linke Aktivistin“ galt, kam Zieschank wohl aufgrund seiner Nähe zu gewerkschaftlich organisierten Arbeitern in der Fabrik ins Visier der Militärchergen.
Das Verschwinden der beiden Deutschen wurde ihren Familien bald bekannt, beide wurden sie von Zeugen in den Folterkellern der Diktatur gesehen. Dennoch blieb das Auswärtige Amt in Deutschland auffällig untätig. Während andere Länder (Spanien, Frankreich, England, USA und Österreich) mithilfe von politischem Druck und unter Androhung von Saktionen ihre Verschwundenen freibekamen, reagierte die deutsche Behörde mit einer Politik der sogenannten „stillen Diplomatie“.  Die Beamten streuten sogar Gerüchte, wonach die Verschwundenen in terroristische Aktivitäten verstrickt gewesen seien. Die Schuldfrage wurde durch diese perfide Taktik von den Militärs auf ihre Opfer übertragen, sie wurden zu Tätern gemacht. Dabei war das Vorgehen der Militärs keineswegs ein Geheimnis. Die deutschen Botschaftsmitarbeiter in Buenos Aires hatten Kenntnis über die Vorgänge in Foltereinrichtungen wie der ESMA und General Jorge Videla sprach 1975 sogar öffentlich über seine Strategie zur „Wiederherstellung der Ordnung“: „Wenn es notwendig ist, müssen in Argentinien so viele Menschen sterben wie nötig, um die Sicherheit wiederherzustellen.“ Sein Kollege General Ibérico Saint-Jean wird 1976 (im Jahr der Fussball-WM) sogar noch genauer: „Erst werden wir die Subversiven töten, dann die Kollaborateure, dann ihre Sympathisanten, danach die Indifferenten und zum Schluss die Lauen.“[2]
Parallel zu seiner „stillen Diplomatie“ vermittelte das deutsche Auswärtige Amt große Aufträge zwischen deutscher Industrie und der argentinischen Junta. Andere Staaten verhängten ein umfassendes Waffenembargo gegen Argentinien, Deutschland stieg zum wichtigsten Waffenlieferanten für die Militärs auf. Auch Mercedes Benz profitierte reichlich von der Machtübernahme. Löhne und Sozialabgaben wurde massiv gesenkt, lästige Gewerkschafter  verschwanden für immer (Untersuchungen zur Beteiligung der Firma an den Entführungen laufen bis heute (siehe Pressemitteilung Amnesty International vom 28.04.2013).  Die Verbindung der großen Vorteile für die deutsche Wirtschaft und der Untätigkeit des Auswärtigen Amtes im Fall der deutschen Verschwundenen kommentierte der Vater von Elisabeth Käsemann, der bekannte Tübinger Theologieprofessor Ernst Käsemann mit den Worten: „Humanität wie Demokratie werden hier bürokratisch verwaltet, und ein verkaufter Mercedes wiegt zweifellos mehr als ein Leben.“




[1] Vgl.: „Dass du zwei Tage schweigst unter der Folter! Elisabeth Käsemann, Klaus Zieschank, die Diktatur in Argentinien und die Leichen im Keller des Auswärtigen Amtes“ Bibliothek des Widerstands Band 8. Hamburg 2010.  S.30
[2] Siehe.: „Dass du zwei Tage schweigst unter der Folter! Elisabeth Käsemann, Klaus Zieschank, die Diktatur in Argentinien und die Leichen im Keller des Auswärtigen Amtes“ Bibliothek des Widerstands Band 8. Hamburg 2010.  S.70f